Art Spiegelman
© Maikel Das 1992

Die Idee zu MAUS ist nicht aus der Idee herausgeboren, belehren oder aufklären zu wollen, sondern ist eine persönliche Bewältigung. Es war für Art Spiegelman eher eine Psychotherapie, die ihm half eigene Gedanken und Gefühle zu verarbeiten. Allerdings ist er sich in letzter Konsequenz nicht sicher, ob es nur das ist, wie er zugibt.

MAUS I & II erzählt die autobiographische Geschichte seiner Eltern, die beide im 2. Weltkrieg Auschwitz überlebt haben. Sechs Jahre, von 1980-86, dauerte die Arbeit an MAUS und weitere fünf Jahre an MAUS II. Art Spiegelman besuchte regelmäßig seinen Vater, um die Erlebnisse aufzuzeichnen, recherchierte Material und reiste sogar einige Male nach Polen. Es sind in jeder Hinsicht sehr persönliche Bücher. Nicht nur, weil sie die Geschichte seiner Eltern schildern, sondern auch dadurch, wie Spiegelman sie (be)schreibt.

1930 lernten sich Wladek Spiegelman und Anja Zylberg - Art Spiegelmans Eltern - in Sosnowitz, Polen kennen und lieben. Nach der Heirat bekommt Wladek von Anjas wohlhabenden Eltern eine Texilfabrik. 1938 wird ihr Sohn Richieu geboren, der den Krieg nicht überlebt. Gleichzeitig beginnt sich die Lage der Juden auch in Polen zuzuspitzen. Kurz vor Kriegsbeginn wird Wladek eingezogen und gerät so in Kriegsgefangenschaft. Nach der Entlassung kehrt er nach Sosnowitz zurück. Die Tragödie der Familie Spiegelman beginnt jetzt erst. Registratur aller Juden, lebensgefährliche Geschäfte auf dem Schwarzmarkt, überleben im Ghetto. Mit viel Glück, Beziehungen, Geld und Wertgegenständen gelingt es Wladek und Anja immer wieder auf der Flucht und in Verstecken zu entkommen, bis sie schließlich 1944 von Menschenschmugglern verraten werden und nach Auschwitz deportiert werden. Hier endet der erste Band.

Parallel zu der eigentlichen Geschichte erzählt Art Spiegelman, wie es zu dem Buch kam - die einzelnen "Sitzungen" mit seinen Vater, um die Schilderungen auf Band aufzuzeichnen. Dabei stilisiert er seinen Vater nicht als Überfigur, als Helden hoch. Im Gegenteil, man erfährt schnell, daß es erhebliche Spannungen zwischen ihm und seinen Vater gab. Wladek Spiegelman ist geizig und rechthaberisch. Auch mit seiner zweiten Frau Mala, ebenfalls eine Überlebende aus Auschwitz, kommt er nicht besonders gut aus. Anja Spiegelman beging 1968 Selbstmord, kurz nachdem Art das Elternhaus verlassen hatte. Wladeks Eigenschaften machen es seinen Mitmenschen nicht leicht, mit ihm auszukommen. Nach Jahren der Kontaktlosigkeit kommen sich Vater und Sohn erst durch die Arbeit an MAUS wieder näher. Als der Vater 1982 starb, kannte er vier Kapitel. Er stand dem Comic eher gleichgültig gegenüber, da er nicht im Lesen von Bildgeschichten geübt war.
"Vielleicht hätte mein Vater eine andere Einstellung dazu gehabt, wenn er die Pressereaktionen auf MAUS noch miterlebt hätte", merkt Art Spiegelman an.

Schon vor MAUS (dem Buch), gab es eine 3-seitige Kurzgeschichte mit dem Titel MAUS, die 1972 im FUNNY ANIMALS erschien und 1980 in BREAKDOWNS nachgedruckt wurde. Die Geschichte entstand zu einer Zeit, als Art keinen Kontakt zu seinem Vater hatte, sich aber noch genau an die Geschichten erinnerte, die sein Vater ihm als Kind oft erzählt hatte. Erst nachdem das Comic fast vollendet war, trafen sich beide nach Jahren wieder.

Als Art Spiegelman das Angebot bekam, eine Geschichte für FUNNY ANIMALS zu zeichnen, wollte er ursprünglich eine Geschichte über Rassismus in den USA zeichnen. Die Idee dazu kam ihm, als er einen alten Cartoon mit rassistischen Anspielungen sah, in dem Mäuse wie Schwarze und Katzen wie Weiße aussahen. Doch er war nicht vertraut genug mit der Materie, um es überzeugend hätte realisieren können. Dann kam ihm in den Sinn, die Geschichte seines Vaters aufzuzeichnen, die noch viel schrecklicher seinen.

Während der Arbeit am MAUS Kurzcomic, hatte Art die Idee, mehr zu machen, als nur ein drei Seiten Comic. Seine Mutter hatte schon Tagebuch über ihre Verfolgung im 3. Reich geführt und seinen Sohn ermuntert später darüber ein Buch zu schreiben. Wladek Spiegelman lag nie viel daran, seine Erinnerungen aufzuzeichnen, obwohl er später mit seinen Sohn Tonbandsitzungen führte. Er hat sogar die Tagebücher seiner Frau verbrannt! Etwas, daß Art nie verstanden und worüber er nie richtig hinweggekommen ist.
"MAUS wäre mit Sicherheit ein anders Buch geworden, wenn ich die Tagebücher meiner Mutter gekannt hätte."

In dem NS-Propagandafilm "Der ewige Jude" sieht man in einer Filmsequenz jüdische Gesichter und im Gegenschnitt fliehende Ratten im Keller. Daran dachte Art Spiegelman ebenfalls, als er die Idee zu MAUS hatte. Außerdem dient die Tiermetapher dazu, eine Distanz bewahren zu können. Ähnlich, wie mit japanischen Masken. Sie sind neutral und strahlen dennoch eine Persönlichkeit aus. Hätte man stattdessen Menschen gezeichnet, wäre es wahrscheinlich pathetisch geworden. Wie eine Hungerhilfe-Anzeige, die um Sympathie bettelt. Etwas, was Art Spiegelman völlig fern lag. Außerdem hinderten ihn mangelnde Kenntnisse daran, sich für eine authentische Darstellung zu entscheiden, ohne dabei Verfälschungen zu riskieren. Eine abstrahierende Darstellung läßt einen mehr Freiheiten und ist zudem besser geeignet, den Leser zu erreichen. Dennoch gesteht er im Nachhinein, daß die Katz- und Mausdarstellungen eine schlechte Idee waren.
"Jeder fragt mich, warum gerade Katzen und Mäuse und kommt auf TOM UND JERRY zu sprechen. Damit hatte ich nun gar nicht gerechnet, als ich mit MAUS begann."

Zu jeder Geschichte sucht Art Spiegelman den passenden Stil. Ein Blick in BREAKDOWS (Stroemfeld/ Roter Stern, 1980), eine Anthologie seiner Arbeiten, belegt dieses. Mit den unterschiedlichsten Techniken und Stilen, die hauptsächlich vom amerikanischen Underground geprägt sind, werden die Geschichten erzählt.

Die Stilsuche erwies sich für MAUS als besonders schwierig, da Art schon mit dem Zeichnen begann, als er sich noch nicht schlüssig war. Anders als sonst üblich, sind die meisten Originalseiten im Maßstab 1:1 gezeichnet. Das erhält die persönliche Note. Die Zeichnungen bekommen dadurch einen rauhen und ungeschliffenen Touch. Genau das, was sonst bei "herkömmlichen" Comics vermieden werden soll.
"Zuerst mochte ich meine Zeichnungen überhaupt nicht. Aber nach zehn Jahren habe ich mich daran gewöhnt".
Graphisch ist der 2. Band "geschlossener". Es gibt keine Brüche mehr, wie im ersten Band, weil sich Art Spiegelman über die Jahre auf diesen "rauhen" Stil eingestellt hatte.

Schon vor MAUS gab es Versuche, den Holocaust im Comic zu verarbeiten. Bekanntes Beispiel ist Bernhard Kriegsteins MASTER RACE aus IMPACT No.1 (EC COMICS). Kriegsteins Geschichte übte aber keinen direkten Einfluß auf MAUS auf, wie Spiegelman betont. Er lernte aber von seiner Erzählweise ? wie er filmische Elemente für den Comic adaptiert ? mehr, als daß MASTER RACE ihn inspirierte.

Durch die jahrelange Arbeit an dem Buch befand sich Art Spiegelman im ständigen seelischen Streß. Täglich spielte er mit dem Gedanken, die Arbeit abzubrechen. Um seinen Depressionen Ausdruck zu verleihen, zeichnete er sich am Zeichentisch sitzend, auf der Spitze eines Hügels von Leichen. Auch dem starken Medieninteresse fühlte er sich hilflos ausgeliefert. Man erwartete Antworten auf Fragen, die er sich nie stellte. Wie seine Einstellung zu Deutschland heute ist, wie er wohl israelische Juden dargestellt hätte oder er bekam Angebote, sein Buch kommerziell auszuschlachten. Bevor Leute das Buch kannten, gab es entsetzte Reaktionen. Wie kann man nur ein Comic über den Holocaust machen? Hätte man damit nicht wenigstens warten können, bis die Generation tot ist? So in etwa waren die Kommentare auf das Projekt. Doch nachdem MAUS publiziert wurde, gab es überwiegend positive Reaktionen von allen Seiten. Auch von den amerikanischen Juden, die einen bedeutenden, gesellschaftlichen Faktor in den USA darstellen. Nicht nur Art Spiegelmann, sondern auch sein Verleger war überrascht, wie begeistert das Buch aufgenommen wurde. Eine Deutsche Veröffentlichung ist, wie Art gesteht, für ihn kompliziert. Er ist natürlich froh darüber, doch weiß nicht abzuschätzen, wie Deutsche auf das Buch reagieren.
"Der Erfolg von MAUS war mir sehr wichtig, doch verwirrte es mich auch. Bis heute weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll. Einerseits bin ich glücklich darüber, andererseits ist es auch ein Fluch."

MAUS ist und bleibt ein persönliches Buch, das Art Spiegelman mehr für sich geschrieben hat, als daß er aufklären oder belehren wollte. 1991 erschien MAUS II und erhielt 1992 den Pulitzerpreis. Es knüpft direkt ans erste Buch an und beschreibt die Zustände in Auschwitz bis zu den frühen Jahren Nachkriegsjahren und der Emigration in die USA.
"Obwohl mich die Thematik für immer beschäftigen wird, möchte ich nicht bis ans Lebensende nur Katze und Mäuse zeichnen"; kommentiert Art sein Werk.

Durch MAUS wurde RAW ziemlich erfolgreich. Unter anderem fand Art einen Verleger für sein Avantgarde-Magazin. Dennoch bleibt RAW unabhängig und unbeeinflußt von der Verlagspolitik. RAW ist ein Medium für "nicht leicht verdauliche" amerikanische und europäische Comic Künstler, die in anderen amerikanischen Magazinen nicht oder nur selten veröffentlicht werden. So findet man eher Comics, die von der traditionellen Kunst beeinflußt, oder avantgardistisch-experimentell sind, durch ihren Inhalt oder ihrer Erzählweise hervorstechen. Das alles erfordert auch ein hohes Maß an geistiger Eigeninitiative und Toleranz vom Leser. RAW ist alles andere als ein Buch für die U-Bahnfahrt zur Arbeit. Das es nicht ohne Einfluß auf andere Magazine gewesen ist, bewiesen z.B. Ausgaben wie BOXER oder FÖN-X, die in seiner Tradition standen.

Jede Ausgabe von RAW macht eine Haufen Arbeit. Nach acht großformatigen Ausgaben hatte Art Spiegelman das Gefühl das Gefühl schon alles gesagt zu haben. Daher wurde ein Kleinformat gewählt, um die Sache wiederzubeleben.
"Die meisten "Leser" sahen sich nur die Bilder an. Durch das kleinere Paperback-Format wird mehr Aufmerksamkeit auf den Text verwendet, weil kleinere Formate literarischer sind. Außerdem haben die neuen RAW Bücher mehr Seiten. Als ich meinen Verleger vorschlug, wieder das Format zu ändern, sah ich zum ersten Mal, wie jemand am Telefon blaß wurde."

Narrativ zu bleiben und sich nicht nur graphisch auszutoben ist für Art ein Problem. Trotzdem bevorzugt er Comic, die die Story in den Mittelpunkt stellen. Wenn es zu abstrakt wird, läuft man Gefahr in den Kitsch abzurutschen und die Story geht verloren .Dennoch ist Abstraktion für Comics wichtig. Es darf aber nicht nur Bild an Bild sein. Das symbiotische Wechselspiel zwischen Handlung und Zeichnung muß gewährleistet bleiben.
"Die meisten Geschichten, das gilt nicht nur für Comics", fügt er hinzu, "sind banal. Der Spaß liegt daran, wie die Geschichte umgesetzt wurde und nicht, was diese aussagt."

Art Spiegelman nennt folgende Künstler, die ihn beeinflußt haben: Windsor McCay, George Herriman, Harold Gray, Tardi, Robert Crumb und ganz besonders Harvey Kurtzman. In vielen seiner Arbeiten lassen sich Eiflüsse der genannten Künstler nachweisen.

Außer Comics zeichnen und illustrieren lehrt Art Spiegelman an der NY School of Visual Arts oder schreibt Artikel. Dabei hat er ein weiteres Problem, nämlich Lehren und Verlegen strikt auseinanderzuhalten. Wenn man sich derart intensiv mit dem Medium Comic auseinandersetzt, ist es nicht leicht, klare Grenzen zu ziehen.
"Manchmal ist es ein wahrer Kampf", wie er sagt.

Bevor er den Durchbruch mit MAUS schaffte und noch nicht von Comics alleine leben konnte, arbeitete er für Topps Company Inc. und entwarf unter anderem die Chewing Gum Cards GARBAGE DOLL KIDS, die in den USA ein Riesenhit wurden und in Deutschland kurz nach Erscheinen von der BPS indiziert wurden.

"Es bringt mir keinen Trost an Religion oder Politik zu glauben. Oftmals auch nicht in Kunst. Aber ein Becher voll frischem Kaffee ist immer großartig." - Art Spiegelman.
 
 
 

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