The Amazing Spider-Man

© Maikel Das und Toy Hunter's Journal 1998

Peter Parker, ein schüchterner Schüler, wird von einer radioaktiven Spinne gebissen und entdeckt, daß er die Kräfte einer menschlichen Spinne besitzt. Er versucht, seine Kräfte in Geld umzumünzen bei Ringkämpfen und tritt als kostümierter "Spinnenmensch“ im Fernsehen auf. Als ein Krimineller an Spider-Man vorbeirennt, weigert er sich den Flüchtigen zu stoppen. "Tut mir leid, dafür sind sie da“, sagt Spider-Man dem Cop. "Mich kommandiert  niemand herum. Von jetzt an kümmere ich mich nur noch um Nummer Eins - und das bin ich!“
Als Peter Parker einige Tage später nach Hause kommt, wo er mit seiner Tante und seinem Onkel lebt, steht die Polizei vor der Tür. "Mein Beileid Junge! Dein Onkel ist erschossen worden!“ Peter wechselt in sein Spider-Man Kostüm und stellt den Mörder. Als er ihn erkennt, ist er entsetzt.. "Das ist der Dieb, der an mir vorbeilief und den ich nicht aufhielt, als ich die Gelegenheit dazu hatte!“ Parker fühlt sich schuldig am Tod seines Onkels. Die erste Spider-Man Geschichte endet, als eine stille, hagere Gestalt in die dunkler werdende Nacht hinausgeht... mit der Erkenntnis, daß in dieser Welt große Macht mit großer Verantwortung gepaart sein muß!“ So beginnt die Saga um Spider-Man in Amazing Fantasy #15 im August 1962.

Von Anfang an war Spider-Man ein Held mit Problemen. Die Schuld an dem Tod seines Onkels und die finanzielle Belastung seiner Tante May waren nur der Anfang. Als Spider-Man ist er unverstanden und wird als öffentliche Bedrohung abgestempelt. Als Peter Parker hat er Geldsorgen und Mädchenprobleme. Selbst sein Kostüm muß er sich selber nähen und sticht sich dabei in den Daumen. Das war es, was Spider-Man beliebt machte. Niemals zuvor sah man einen Superhelden sich mit Alltagsproblemen herumplagen. Niemals zuvor agierte ein Teenager als Superheld oder ein Superheld als Teenager. Die Leser konnten sich mit der Figur identifizieren, während wohl kaum jemand etwas mit einer omnipotenten Figur wie Superman gemein hat.

Der damalige Verleger Martin Goodman haßte die Idee. Menschen mögen keine Spinnen und keiner will etwas über einen Superhelden lesen, der mit Schularbeiten und einer alten Tante belastet ist. Stan Lee, der legendäre Marvel-Begründer, mußte all seine Clevernes aufbieten, Spider-Man an den Leser zu bringen. Jack Kirbys (Fantastic Four, Capt. America) Vorschläge überzeugten Stan Lee nicht. Sie entsprachen zu sehr dem traditionellen Superhelden Cliché. Lee wollte einen schlaksigen Teenager. Steve Dikto, Zeichner vieler Monster und Mystery- Geschichten war sein Mann. Ihre Zusammenarbeit brachte den schlanken, unglaublich agilen, oftmals unheimlichen Netzschwinger mit seinen sechsten Sinn und viel Humor hervor. In der dem Tode geweihten Serie Amazing (Adult) Fantasy bekam Stan Lee die Chance, seinen Spider-Man in der letzten Ausgabe unterzubringen. Diese verkaufte sich großartig. Im März ‘63 erhielt Spider-Man seine eigene Serie und wurde dem entstehenden Marvel- Universum hinzugefügt.

Bereits die ersten 15 Ausgaben legten das Fundament für den phänomenalen Erfolg von Spider-Man. Über Jahrzehnte blieb dieses Konzept fast unverändert. Die Serie erhielt eine starke Besetzung von Nebencharakteren. An erster Stelle wäre Tante May zu nennen, die resolute, alte Dame, die Peter nach dem gewaltsamen Tod ihres Mannes alleine großgezogen hat und einige Herzattacken zu überstehen hatte. Der Verleger des Daily Bugle J. Jonah Jameson, der es zu seiner persönlichen Mission gemacht hat, Spider-Man zu diskreditieren und dabei auch vor nicht ganz so legalen Methoden zurückschreckt. Ironischerweise ist Peter Parker sein bester Fotograf, der seine Heldenaktivitäten auch dazu nutzt, mit Spider-Man-Fotos seine Kasse aufzubessern. Zu Peters Kumpels gehören High School Footballstar Flash Thompson, der Parker in der Schule gehänselt hatte, aber der größte Spider-Man-Fan war. Nach der Rückkehr aus Vietnam freunden sich beide an. Harry Osborn, Peters Zimmergenosse aus seiner Collegezeit, Sohn des Großindustriellen Norman Osborn alias der Grüne Kobold. Später wird er selbst zum Grünen Kobold und spielt eine wichtige Rolle in den revolutionären Anti-Drogen Ausgaben.

Peters erste, echte Romanze begann mit Betty Brant, J.J.J.s Sekretärin. Ihr spätere Mann, der Daily Bugle Reporter entpuppt sich als der (erste) Gnom (Hobgoblin). Die andere Flamme aus Highschool-Tagen war Liz Allen, die dann Harry Osborn heiratete. Auf dem College lernt Peter Parker Gwen Stacy kennen. Die Liebe endet mit ihrem tragischen Tod  durch Norman Osborn, den Grünen Kobold. Ihr Vater, der verstorbene Polizeioffizier Captain Stacy, war die zweite Person, die die wahre Identität von Spider-Man kannten. Über Monate versuchte Peter das von seiner Tante und ihrer Nachbarin arrangierte Blind Date mit Mary Jane Watson aus dem Weg zu gehen. Schließlich hatten sie ihn so weit, daß er sich nicht mehr drücken konnte (#42, 1966). Diese glückliche Begegnung endete viele Jahre später mit der Heirat der beiden (Amazing Spider-Man Annual #21, 1987).
Spidey hat es geschafft, die miesesten Superschurken aller Zeiten hervorzubringen. Neben dem schon erwähnten Grünen Kobold sind es Doktor Octopus, der Geier (Vulture), die Echse (Lizard), der Sandman, Kraven der Jäger, Elektro, Mysterio, der Skorpion, Venom und viele andere.

Schon dieser Versuch, über 35 Jahre Spider-Man in einen Artikel zusammen zufassen, macht den Soap- Opera-Charakter von Superhelden- Comics deutlich. Superhelden Comics sind mit der amerikanischen Mentalität, Pop Kultur und Comicgeschichte eng verbunden. Sie sind derart dominant, daß andere Genres nur ein Schattendasein fristen. Aus europäischer Sicht ist das manchmal schwer nachzuvollziehen. Doch darauf näher einzugehen, würde hier den Rahmen sprengen.

Wie die meisten Marvel-Zeichner hatte auch Steve Ditko ziemlich viel Freiheiten die Geschichten zu zeichnen und Sub-Plots zu entwickeln. Uneinigkeit gab es zwischen Stan Lee und Steve Ditko über die Geheimidentität des Grünen Kobolds. Dikto wollte, daß der Kobold ein krimineller Niemand ist, Lee dagegen wollte ein dramatisches Ende und bestand darauf, daß einer der Nebenfiguren der Grüne Kobold ist. Ditko weigerte sich und wechselte zu DC. Mit der #39, 1966, übernahm John Romita Spider-Man und führte die Handlung zu Ende. Zuvor zeichnete er romantische Tagesstrips, in dem jeder Charakter glamourös und idealisiert war. So sehr sich Romita auch bemühte, er konnte Peter Parker nicht als schmächtigen Jüngling zeichnen. Immer kam ein "Fotomodell“ dabei heraus. Jahrelanges Training ließen sich nicht so einfach abschütteln. Schließlich gaben es Stan Lee und John Rominta auf und entschieden sich, Peter reifer werden zu lassen und mehr Selbstvertrauen zu entwickeln. Die John Romita Ausgaben gehören mit zu den beliebtesten und erfolgreichsten Spider-Man Heften. The Amazing Spider-Man wurde Marvels Flaggschiff und Amerikas populärster Superheld.

Viele unvergessene Geschichten sind in den Jahrzehnten entstanden.
1970 bat das Office of Health, Education and Welfare in Washington Marvel Comics, eine Geschichte über die Gefahren von Drogen in einen ihrer Serien zu bringen. Am liebsten natürlich in Spider-Man, der zu der Zeit schon der beliebteste Comicheld war. Marvel ließ sich nicht lange bitten. Dennoch sollte die "Botschaft“ nicht so plump im Vordergrund stehen, daß sie wie eine Moralpredigt wirkt. Andererseits mußte die "Botschaft“ deutlich ‘rüberkommen. Die Antwort war, das Drogenthema als Sub-Plot spielen zu lassen, ohne die Action oder Spannung des regulären Heldenthemas im Wege zu stehen. Die Comic Code Authority verweigerte seine Zustimmung zu dieser heiklen Geschichte. Marvel Comics seinerseits weigerte sich etwas zu ändern. Also erschienen die Amazing Spider-Man Ausgaben #96-98 (1971) ohne das CCA Siegel. Es war das erste Comicheft seit der Einführung des CCA 1955, welches ohne "approval“ erschien. Diese Ausgaben (und Green Latern #85 & 86) führten zur Liberalisierung des Codes.
Gwen Stacy mußte sterben, weil Stan Lee und John Romita von ihr gelangweilt waren. Sie war einfach zu nett, um interessant zu sein. Mary Jane war das aufregende Mädchen mit Persönlichkeit, über die es etwas zu erzählen gab. Nach dem Ableben von Gwen übernahm sie die dominante, weibliche Rolle in der Serie. Der Tod von Gwen Stacy gehört immer noch zu den meistgesuchtesten Heften (#121 & 122, 1973) überhaupt.

Als Spider-Man sein neues, schwarzes Kostüm erhielt (#252, 1984), plante man es nur für kurze Zeit zu behalten. Doch die Reaktionen waren so überwältigend - nicht nur von den Fans, sondern auch vom Medienecho- daß Spidey es noch viel länger behalten durfte. Als er dann wieder in sein traditionelles blau-rote Outfit schlüpfte, war die Resonanz gleichermaßen positiv. Fans bevorzugen trotz allem das Altbewährte. Aus dem Alien-Symbionten des Kostüms ging später der psychopathische Superschurke Venom hervor.
Der Tod von Kraven dem Jäger (#293, 294 u.a. 1987) gehört mit zu den besten Spider-Man Geschichten, die je geschrieben worden sind. Kraven begräbt Spider-Man lebendig und nimmt seine arachnide Identität an. Der Sechsteiler ist ein Psychothriller in die Abgründe der menschlichen Seele, der in dem Selbstmord von Kraven gipfelt. Marvel wurde beschuldigt, Selbstmord zu glorifizieren. Aufgrund der entfachten, kontroversen Diskussion sah sich der Verlag veranlaßt, eine Geschichte hinterher zuschieben, die Kravens Freitod als die Tat eines kranken, verwirrten Mannes darstellt.

Mitte der 90er dümpelte die Serie vor sich hin. Die Luft war raus. Nicht nur Spider-Man, sondern das ganze amerikanische Comic-Business befand (und befindet sich noch immer) im Abwärtstrend. Nach der Heirat mit Mary Jane wurde Peter Parker zu bürgerlich. Doch die Sache mit Spider-Man ist, er muß Probleme haben. Die Verkaufszahlen waren nicht berauschend. Ein Knaller mußte her. DC hatte es geschafft, mit dem "Tod“ von Superman weltweites Medieninteresse und einen Verkaufshit zu landen. Man begann die "Clone-Saga“ zu entwickeln, die zunächst recht vielversprechend begann, dann aber völlig konfus wurde mit etlichen Clones von Gwen, Parkers toten Eltern, wiedergeborenen Schurken und mutierten Fehlschlägen. Die Story begann so absurd zu werden, selbst nach Superhelden Maßstäben, daß keiner mehr durchstieg. Als dann auch noch Ben Reilly der wahre Spider-Man sein sollte und nicht mehr Peter Parker, fühlten sich die Fans betrogen. All die Jahre hatte man die Abenteuer einer Fälschung verfolgt?! Es gab wütende Protestaktionen, Haßbriefe und langjährige Spider-Man Fans kündigten ihr Abo. Die Leser rannten in Scharen davon. 1996 sank Marvels ehemaliger Bestseller Amazing Spider-Man auf eine Auflage von 235.000 Stück. Das war ein Sturz um 60% gegenüber 1993 und ein 30-jähriges Rekordtief! Der neue Chefredakteur Bob Harras, kaum im Amt, zog die Notbremse und begann alles wieder umzukrempeln, um den alten "Status Quo“ herzustellen. Von diesen Schock hat sich Marvel Comics bis heute nicht erholt. Letztes Jahr stand der Verlag kurz vor dem Konkurs, und die Verkaufszahlen von Spider-Man sind immer noch im Keller. Hat man einmal seinen Leser verloren, bleiben sie i.d.R. der Serie fern - für immer.

Derzeit besinnt man sich auf alte Tugenden und hat erfahrene Veteranen an Bord geholt, die den Karren aus dem Dreck ziehen sollen. John Byrne wird in einer 12-teiligen Maxi-Serie die Geschichte des Wandkrabblers neu erzählen. Danach plant man alle Titel mit der #1 neu zu starten. Dasselbe hat es schon bei DC mit Superman gegeben. Auch dort war es John Byrne, der den Kryptoniden retten mußte. Mit der Bemerkung "Das haben wir nicht nötig. Wir haben es von Anfang an richtig gemacht“, spottete Marvel immer hämisch auf DC, als sie Mitte der 80er ihr Universum neu definieren mußten. Jetzt ist es Marvel Comics, die alle Titel neu startet, um ihre Klassiker zu retten. Hoffen wir auf einen glücklichen Neuanfang. Dein freundlicher Nachbar Spider-Man hätte es verdient.

Die Spinne, wie sie jahrelang in Deutschland genannt wurde, erschien das erste Mal im September 1966 in Hit Comics #1. des Bildschriftenverlages (BSV). Leider waren die Ausgaben des BSV erbärmlich. In schwarz/weiß auf schlechtem Papier gedruckt, erschienen verschiedene Marvel Serien unchronologisch, in verwirrender Numerierung und schlecht übersetzt. Diese lieblose Verlagspolitik wurde später leicht korrigiert, doch da war es schon zu spät. 1973 wurden die Hit Comics mit der #254, bereits unter Betreuung des Williams Verlags, eingestellt.
Ein Jahr später startete der Williams Verlag sein Marvel Programm. In chronologischer Reihenfolge, neu übersetzt, handgelettert und in Originalfarben erschienen alle zwei Wochen die populärsten Marvel Serien in Deutschland. Diese Zeit wird im allgemeinen als das goldene Zeitalter der Marvel Comics in Deutschland betrachtet. Die Hefte erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit. Trotz treuer Fan-Gemeinde währte das Glück nicht lange. Die Verkaufszahlen waren eher bescheiden. Nach und nach gingen alle Superheldenserien ein, bis auch als letztes im Mai 1979 Die Spinne mit der #137 eingestellt wurde.
Schon vor dem endgültigen Aus bei Williams hatte der Condor Verlag ein Spinne Taschenbuch herausgegeben mit bis dahin unveröffentlichten Serien Peter Parker, the spectacular Spider-Man und Marvel Team-Up. Das erste Spinne Comicheft erschien 1980. Für Condor typisch war es dilettantisch übersetzt und grauenhaft koloriert. Auch setzte es nicht dort an, wo Williams aufgehört hatte (Amazing Spider-Man #136), sondern machte bei #150 weiter. Die Amazing Spider-Man Ausgaben #137-149 sind bis dato in Deutschland unveröffentlich. Die unsägliche Condor-Ära fand erste 1996 ihr gnädiges Ende. Die Spinne #259 war die letzte Condor Ausgabe.
Marvel hat jetzt selbst das Zepter in die Hand genommen. Unter dem Namen "Marvel Deutschland", welches mit zur Verlagsgruppe Marvel Comics/ Panini gehört, erscheinen seit 1997 Spider-Man und andere Marvel Superhelden. Dieser vielversprechende Neuanfang orientiert sich eng an den US-Originalausgaben und versucht auch Neueinsteigern die Vielfalt des Marvel Universums näher zubringen.

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